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Geschrieben von Ionut Maftei

Ins Land der Bären – ein rumänisches Radabenteuer

Als staatlich geprüfter Bergführer leite und begleite ich seit 2007 Fahrrad-, Wander- und Schneeschuhtouren in meinem Heimatland Rumänien. Meine Agentur Bike In Time bietet Individualreisen für Radfahrer im ganzen Land an. Das Radfahren in Rumänien wird immer beliebter, und eine der meistgestellten Fragen unserer Besucher ist – vielleicht überraschend – “werden wir Bären begegnen?”

Denn das ist tatsächlich möglich, und zwar entlang einer der beliebtesten Höhenstraßen im Land: Die Transfogarascher Hochstraße (rumänisch: Transfagarasan), die das Fagaras Gebirge mit den zwei historischen Regionen Walachei und Transylvanien verbindet. Verglichen mit anderen europäischen Ländern ist die Artenvielfalt der Tierwelt in Rumänien noch außerordentlich gut erhalten, eine Tatsache, auf die wir sehr stolz sind. Wer in der Natur unterwegs ist, trifft hier jede Menge Tiere an, von Klein (Schildkröten, Igel, Hasen, Vögel, Eichhörnchen, etc.) bis Groß (Rehe, Füchse, Wildschweine, Bären, Büffel, und sogar Wölfe). Ich persönlich bin bereits allen begegnet, außer Wölfen.

Warum gibt es Bären entlang der Straße?

 

Rund 50% der europäischen Bärenpopulation hat in Rumänien seine Heimat, daher sind Sichtungen auf Wanderungen in der Wildnis keine Seltenheit. Bären entlang der Straße zu sehen sieht man erst seit ein paar Jahren, tatsächlich erst, seit immer mehr Touristen die Transfogarascher Hochstraße für sich entdecken. Der Grund dafür ist eher besorgniserregend – die Bären haben erkannt, dass Menschen Abfall und Essen mit sich bringen, sie sich also die mühsame Futtersuche im Wald ersparen können. Es ist nun schon soweit, dass sie entlang der Straße auf Menschen in Autos warten und um Essen “betteln”.

Warum sollte man die Bären nicht füttern?

Wenn Bären ihre natürliche Scheu vor den Menschen verlieren, ist es nur eine Frage der Zeit, bis sie sich auf der Suche nach leicht zugänglicher Nahrung in Dörfer und Städte begeben, und dort in Gärten und Straßen tatsächlich zur Gefahr werden.

📍 Eine Dokumentation von ArteTV beschreibt die Problematik der Bären in der Region. Ihr könnt sie hier sehen (erhältlich nur auf deutsch oder französisch): https://www.arte.tv/de/videos/107784-000-A/baerenalarm-in-transsilvanien/

Aktuell gibt es bereits Bärensichtungen an Straßen in anderen Regionen. Das bedeutet, dass Menschen ihnen immer noch Futter anbieten, um die Faszination Bär ganz nah zu erleben – trotz aller Schilder, Aufklärungskampagnen und Geldstrafen für den Fall, dass sie dabei erwischt werden.

Sind die Bären gefährlich?

Wir nennen die Bären entlang der Straßen “Bettler-Bären”. Sie warten ganz entspannt auf Nahrung, die Schaulustige ihnen durchs Autofenster reichen. Bis dato ist mir kein einziger Vorfall bekannt, bei dem diese Bären aggressiv wurden. Es kommt höchstens dann zu gefährlichen Situationen mit den Bären, wenn Touristen versuchen, Selfies mit ihnen zu machen (ja, diese Art von Mensch gibt es wirklich!).

Als professioneller Bergführer ist mein Zugang und meine Philosophie die der Risikoprävention. Haltet am besten immer einen gewissen Abstand zu Tieren in der freien Natur, wie Rehe, Füchse, Wildschweine und auch Bären. Es ist gut, sich stets in Erinnerung zu rufen, dass wir die Besucher im Lebensraum der Tiere sind. Fühlen wilde Tiere sich bedroht, können sie sich wehren und uns auch verletzen.

Wie kann ich beim Radfahren Bären sehen?

Sieht man im Wald mehrere Autos entlang der Straße stehen, haben sie vermutlich angehalten um einen Bären oder ein anderes Tier zu beobachten. Die meisten Bären findet man im Bereich der südlichen Transfogarascher Hochstraße, dort, wo die Straße am See entlang führt. Manche Radfahrer verpassen die Bären, weil sie in der Abfahrt einfach zu schnell unterwegs sind.

Erfahrungsberichte unserer Radfahrer

Catherine aus Kanada fuhr mit mir die Transfogarascher Hochstraße in der Frühsaison, als der obere Bereich noch schneebedeckt war. Auf der Abfahrt im Wald sahen wir ein paar Bären. Ich lasse es sie am besten selbst erzählen:

Es war ein beeindruckender Tag als wir die atemberaubende Transfogarascher Hochstraße überquerten. Als unsere Handys auf der Fahrt hinunter Warnnachrichten empfingen, fragten wir uns: was könnte in diesen abgelegenen ruhigen Dörfern passiert sein, um so eine Flut an Warnungen auszulösen? Unser Reiseführer erklärte, dass diese einen Bären in der unmittelbaren Nähe ankündigten. Wie nah, dachten wir, könnte das sein?
Wir stiegen wieder auf die Räder und schon nach der nächsten Kurve hatten wir unsere Antwort: ein paar Autos waren angehalten und dahinter sahen wir sie, eine riesige Braunbärin mit ein paar Bärenjungen an ihrer Seite. In Kanada hatten wir schon ein oder zweimal einen Bären erspäht, aber das waren kurze Sichtungen im Wald und dann waren sie schnell fort. Diese rumänischen Bären fühlten sich am Straßenrand wohl genug, um zu sitzen und mit ihren Jungen zu spielen, während die Leute sie fotografierten. Es war eine unglaubliche Erfahrung, und wir fühlten uns wie echte Glückspilze. Wir konnten ja nicht ahnen, dass wir an diesem Tag noch ein halbes Dutzend Mal Bären am Straßenrand begegnen würden. In jeder Hinsicht ein unvergesslicher Tag!

Sue aus den USA nahm auch an einer unserer Radtouren über die Karpaten teil. Hier ist ihre Geschichte von den Bären:

Wo sonst gibt es eine Radtour, wo man drei Tage am Stück hautnah an Bären vorbei fährt? Oft sind es Muttertiere mit ihren Jungen, die die Straße aufsuchen, um ohne viel Aufwand an Nahrung zu kommen. Die Touristen füttern sie für ein Foto! Was am ersten Tag für uns noch für viel Aufregung sorgte, fühlte sich am dritten Tag schon fast nach ‘nicht schon wieder!’ an. Per WhatsApp warnten wir einander innerhalb der Gruppe vor. Autofahrer winkten uns freundlich zu, um uns Bären anzukündigen, und gaben uns beim Vorbeifahren Deckung, damit wir alle sicher an den Bären vorbei kamen. Der Lohn für den Anstieg? Die Fogarascher Berge, die sich im Balea-See spiegeln. Ein atemberaubender Anblick.

Deborah aus Kanada ist die Leiterin einer Reisegruppe, die von uns durch Rumänien geführt wurde. Sie erzählt von ihrer ersten Begegnung mit den Bären:

Heute verließen wir das Donaudelta und erreichten die Berge. Der Anstieg führte uns durch ein bewaldetes Gebiet, um die Berge von Moldawien bis Transylvanien zu überqueren. Ich fand mich bei der Auffahrt allein vor der Gruppe wieder, und bemerkte all diese Schilder, die uns vor Bären warnten. Ich musste kichern und schenkte ihnen keine Aufmerksamkeit. In Kanada haben wir häufig solche Schilder, die uns vor Elchen warnen. Ich habe in meinem Leben noch nie einen Elch auf der Straße gesehen! Die letzte Sichtung war warscheinlich 1975 und die Schilder sind einfach geblieben. Wie hoch ist also die Wahrscheinlichkeit, in Rumänien tatsächlich Bären entlang der Straße anzutreffen? Gleich Null, dachte ich, und fuhr fröhlich weiter… Dann sah ich ein haltendes Auto, und der Fahrer sagte mir, es wäre ein Bär vor ihm, ich solle vorsichtig sein! Dann hielt der nächste Fahrer an, um mich zu warnen… dann noch einer und noch einer. Die Rumänen sind so freundlich!

Mit Vorfreude und Respekt stieg ich zurück aufs Rad und fuhr weiter… gleichzeitig hoffend und fürchtend, auf einen Bären zu treffen! Ein paar Minuten später, mehrere haltende Autos. Manche Leute fütterten die Bären! Das ist nie gut, wenn man möchte, dass sie im Wald bleiben. Genau in dem Moment traf unser Begleitwagen ein, und unser Führer bat mich zu bleiben wo ich war, er würde den Rest der Gruppe einsammeln und uns dann gemeinsam sicher an den Bären vorbei manövrieren. Während wir warteten, sahen wir auch einen wunderschönen Fuchs und Vögel. Die Tierwelt einer Region hautnah zu sehen ist eine der großen Freuden an Radreisen. Der Begleitwagen traf schließlich mit der ganzen Gruppe ein, und wir radelten langsam an der hinteren Seite des Wagens vorbei, verwendeten ihn quasi als Abstandhalter zwischen uns und den DREI Bären der ersten Gruppe! Monate später redet unsere Runde immer noch über unser rumänisches Bärenabenteuer. Eine Erfahrung, die wir nie vergessen werden!

Wie sollen sich Radfahrer verhalten?

Bei unseren Touren fahren wir mit unserem Begleitwagen langsam zwischen den Radfahrern und den Bären, um alle sicher vorbei zu lotsen. Individualreisenden würde ich stets empfehlen, auf ein Auto zu warten, um dann mit diesem gemeinsam vorbei zu fahren. In Deborahs Worten: 

Wir lernten schnell, wie man mit Bären Rad fährt… Warte auf ein Auto, das dich vor ihnen abschirmt, und schon kann es weitergehen! Sie sind wirklich beeindruckend schöne Tiere, und es war etwas ganz Besonderes, sie in ihrem natürlichen Lebensraum anzutreffen. Sie waren so aufgeweckt. Auf der Straße zu unserem Hotel trafen wir mehrere Bären an, aber mit dem Begleitwagen fühlten wir uns sicher.

Werden die Bären weiterhin entlang der Straße zu sehen sein?

Der Sicherheit von Mensch und Tier zuliebe gibt es Pläne, die Bären davon abzubringen, an die Straße zu kommen. Die Polizei beobachtet aktuell den “Bärenbereich” der Transfogarascher Hochstraße und händigt Geldstrafen an jene Touristen aus, die die Bären füttern. Wenn die Bären von Menschen kein Futter mehr bekommen, ziehen sie sich hoffentlich in den Wald zurück und stellen auch keine Gefahr mehr für umliegende Dörfer dar.

Wo kann man noch auf Bären treffen? 

Die Transfogarascher Hochstraße ist einmalig und der einzige Ort, an dem man als Radfahrer in Rumänien Bären an der Straße begegnen kann. In anderen Regionen findet man oft Bärenspuren, was uns daran erinnert, dass wir uns in ihrem Lebensraum befinden, aber es ist unwahrscheinlich, dass man ihnen tatsächlich über den Weg läuft. Natürlich können wir nie versprechen, dass wir im Rahmen unserer Touren an der Transfogarascher Hochstraße Bären sehen, aber es kommt nicht selten vor. Ihr habt also eine gute Chance!

Danke, Ionut, dass du deine faszinierenden Erfahrungen über Bärenbegegnungen in Rumänien mit uns geteilt hast! Um mehr über Ionut Mafteis Agentur für Radtouren Bike In Time herauszufinden, schau mal auf Ionuts Bikemap Profil oder folge ihm auf Instagram.